BZ-Bonjour (Freitag, 2. November 2001)

Weltsprachen

Amerika wird zum zweiten Mal erobert

Die Zahl der Spanisch sprechenden Erdbewohner nimmt zu. Auch die Sprache stösst auf immer grösseres Interesse.

 Hubert Kahl

Derzeit sprechen etwa 400 Millionen Erdbewohner Spanisch. Damit liegt Spanisch hinter dem Chinesischen, dem Englischen und dem Hindu an vierter Stelle in der Welt. Bei den Muttersprachen rangiert es hinter Chinesisch gar auf dem zweiten Platz.

Neues «Imperium»
«Das Spanische ist dabei, sich neben dem Englischen als die zweite internationale Sprache der Welt zu etablieren», sagt Jon Juaristi, Direktor des Cervantes-Instituts, das sich für die Verbreitung der spanischen Sprache und Kultur einsetzt. «Chinesisch wird zwar von mehr Menschen gesprochen, aber es ist nicht über so viele Länder verbreitet.» Der spanische Film und die Latino-Musik erleben einen Boom. Worte wie fiesta, paella oder siesta werden in aller Welt verstanden. «Das Spanische wird die Sprache des 21. Jahrhunderts sein», prophezeit der Autor Alex Grijelmo.
Am stärksten zeigt sich der Vormarsch in Amerika und in Brasilien. In den USA leben mittlerweile über 30 Millionen Einwanderer aus Lateinamerika («hispanics»). Damit sind die Vereinigten Staaten hinter Mexiko (96 Millionen Einwohner), Kolumbien (41), Spanien (39) und Argentinien (36) das fünftgrösste spanischsprachige Land der Welt. «Wir erobern die Südstaaten der USA zurück, welche die Amerikaner Mexiko im 19. Jahrhundert geraubt haben», sagte der mexikanische Autor Gabriel Mendoza kürzlich. «Das wirkliche spanische Imperium entsteht erst jetzt.»

Sprachzwitter Spanglish
In Brasilien herrscht ein wahres Spanisch-Fieber. In mehreren Bundesstaaten ist Spanisch Pflichtfach an den Gymnasien. Der Trend hat seine Ursache darin, dass das portugiesischsprachige Brasilien im Rahmen der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur stärker mit seinen spanischsprachigen Nachbarn zusammenarbeitet. Zudem ist Spanien zu einem der wichtigsten Investoren in Brasilien aufgestiegen.
Die Ausbreitung des Spanischen birgt aber auch Gefahren für die Sprache selbst. An den Schnittstellen zwischen Nord- und Lateinamerika, wo Spanisch und Englisch aufeinander prallen, entsteht ein Misch- masch namens Spanglish. Der amerikanische Hispanist Ilan Stavans hat bereits das erste Spanglish-Lexikon mit 6000 Wörtern zusammengestellt.

Im Bildungsbereich «top»
Die grösste Schwachstelle des Spanischen sind die Bereiche Wissenschaft und neue Technologien. Im Internet dominiert das Englische mit 70 Prozent der Texte. Spanisch folgt nach Angaben der Zeitschrift «Ecos» nach Japanisch (5), Deutsch (3,3) und Französisch (2,0) mit 1,5 Prozent erst an fünfter Stelle.
Noch schlechter sieht es in der Forschung aus. Nur fünf Promille der wissenschaftlichen Werke in aller Welt erscheinen auf Spanisch. «Das Problem liegt darin, dass die Mehrheit der spanischsprachigen Leute eher arm ist», sagt der Argentinier Martin Varsavsky, Präsident des Telekom- Konzerns Jazztel.
Die grosse Stärke des Spanischen liegt im Bildungbereich. An Schulen in vielen Ländern der Welt läuft es dem Deutschen und Französischen als Fremdsprache immer mehr den Rang ab. In den USA wird Spanisch an 90 Prozent der Oberschulen angeboten. Das Cervantes-Institut verfügt zehn Jahre nach seiner Gründung über fast 40 Sprach- und Kulturzentren in 25 Ländern. Noch in diesem Jahr sollen Zentren in Berlin und Moskau eröffnet werden.  dpa